Rede der Landesvorsitzenden Britta Haßelmann auf dem Wahlkampfauftakt der NRW-Grünen

am 05.09.2004 im Capitol-Theater Düsseldorf

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

 

es ist soweit: in drei Wochen wird in den Städten und Gemeinden Nordrhein ? Westfalens gewählt. Wir alle wissen, es geht um sehr viel bei dieser Wahl. Sie wird weit über NRW hinaus bundespolitische Bedeutung haben und viele werden sie als Stimmungstest für die im Mai 2005 stattfindende Landtagswahl werten.

Vor allem aber, und das interessiert uns jetzt besonders, wird es höchste Zeit, den grünen Einfluss auf das Handeln in den Städten und Gemeinden zurückzugewinnen.

Wir stecken alle viel Kraft und Energie in diesen Wahlkampf, denn unser Ziel ist es, Politik wieder aktiv zu gestalten.

Verbraucherschutz, Stadtentwicklung und Verkehrspolitik, die Förderung von Kindern und Jugendlichen, Bildungspolitik und der Einsatz für Gerechtigkeit: das sind starke grüne Themen, mit denen wir punkten können. Hier haben wir überzeugende Konzepte anzubieten.

Wir werben für Toleranz, Weltoffenheit und und kulturelle Vielfalt. Wir sind die Partei, die sich konsequent für die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzt. Und wir streiten für die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere.

All diejenigen, die aktiv Kommunalpolitik bestreiten, wissen nur zu gut, dass es an der Zeit ist, Stillstand und Rückschritt der Politik in vielen Städten aufzubrechen. Die Städte brauchen uns Grüne, das, liebe Freundinnen und Freunde, ist in den letzten Jahren seit der verlorenen Kommunalwahl 1999 mehr als deutlich geworden.

Seht Euch die Situation in den Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens an: da wird Politik aus Angst vor Fehlentscheidungen einfach nur verwaltet oder es schlägt uns die Arroganz absoluter Mehrheiten entgegen. Unsinnige Großprojekte werden trotz leerer Kassen munter weiter geplant, durch die Privatisierung kommunaler Betriebe und Aufgaben wird Tafelsilber verkauft, ohne die Folgen für die Zukunft zu bedenken. Der Abbau ökologischer Standards, die Aufgabe von Naturschutz und Baumschutzsatzung oder die Ausweisung problematischer Gewerbegebiete gehören zum politischen Alltag vieler Städte und Gemeinden.

Noch immer werden viel zu viele Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen, es fehlt häufig an Transparenz und Bürgernähe.

Damit sich das ändert, brauchen wir ab dem 26.September wieder mehr Grün in den Kreistagen, in den Stadt- und Gemeinderäten.

Ich bin davon überzeugt, nur mit starken Grünen ist die dringende soziale und ökologische Erneuerung unserer Kommunen möglich.

Gerade in Zeiten von Partei- und Politikverdrossenheit haben viele Menschen kein Interesse an Schönwetterreden. Wir müssen auf die Menschen zugehen und für unsere nachhaltige Politik werben.

Das können wir, liebe Freundinnen und Freunde! Auch nach über 20 Jahren kommunalpolitischer Arbeit stehen wir Grüne für eine lebendige Politik vor Ort. Wir greifen Themen auf, die die Menschen beschäftigen, wir bieten die Plattform für gesellschaftliche Debatten und besitzen die Fähigkeit zum kritischen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.

 

Unsere Landespartei ist sehr gut vorbereitet auf die Wahlauseinandersetzung. Das phantastische Europawahlergebnis mit landesweiten 12,6% hat für enormen Rückenwind gesorgt. Wir sind in Aachen, Münster und Bonn mit Werten über 22% zweitstärkste politische Kraft geworden. In zahlreichen Städten haben wir die Zweistelligkeit erreicht. Selbst in eher strukturschwächeren Regionen haben wir beachtliche Ergebnisse erzielt und sind überall im Land mit über 5% vertreten.

Wir konnten mit einem inhaltlich geprägten Wahlkampf, mit europapolitischen Themen und gutem Spitzenpersonal über 670.000 Menschen in NRW überzeugen, den Grünen ihr Vertrauen zu schenken.

Und eins, liebe Freundinnen und Freunde, lasst mich an dieser Stelle besonders hervorheben: dieses Sommerhoch der Grünen ist eurem Einsatz zu verdanken. Diesen Erfolg hätten wir ohne die engagierte Arbeit der zahlreichen Aktiven vor Ort nicht erzielen können.

Ich weiss, was es für viele von Euch bedeutet, in solchen Zeiten Wahlkampf zu machen. Es ist eine große Herausforderung, Beruf, Familie und politisches Engagement miteinander zu vereinbaren, allen Anforderungen gerecht zu werden und auch noch Spass daran zu haben. Ihr vertretet die Grünen vor Ort und seid gleichzeitig erste AnsprechpartnerInnen für grüne Politik in Düsseldorf und Berlin ? eine nicht immer einfache Aufgabe. Dafür möchte ich mich bei Euch allen ganz herzlich bedanken.

Gerade unsere OB-KandidatInnen, die LandratskandidatInnen und BürgermeisterkandidatInnen stehen zur Zeit unter einem enormen Druck.

Sie eilen von einem Wahlkampftermin zum nächsten und haben, auch wenn sie sich der Unterstützung eines grünen Teams vor Ort sicher sind, einiges auszuhalten. Ich weiss nicht, wie es euch geht, ich kann mir sehr gut vorstellen, in weiteren Städten und Gemeinden grüne hauptamtliche OB oder Landräte zu stellen.

Wenn ich sehe, welche hervorragende Arbeit Hans-Jürgen Schimke und Lothar Mittag als hauptamtliche Bürgermeister leisten, wird es Zeit, dass uns dieser Erfolg auch in anderen Kommunen gelingt.

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Auf allen Ebenen arbeiten wir mit motivierten Ehren- und Hauptamtlichen, auch das macht unsere Stärke aus.

Mit der vom Landesvorstand in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie der ?Forschungsgruppe Wahlen? haben wir die strategische Positionierung der Partei gut vorbereitet.

Wir haben eine Wahlkampflinie entwickelt, die breite Zustimmung findet und jede Menge Wahlkampfmaterial gemeinsam entwickelt, das reißenden Absatz findet. Mit dem Verbrauchermobil, der Openair-Kinotour, dem Frauenbus, Sommerfesten und zahlreichen Diskussionsveranstaltungen sind wir überall in NRW präsent.

Wir können die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien jederzeit aufnehmen.

Mit vielen guten Ideen, überzeugenden politischen Konzepten und starken Personen werben wir für starke Grüne in den Kommunalparlamenten.

Seht euch die anderen Parteien einmal genau an:

Die alten Feindbilder, die der Generalsekretär der CDU Reck vor Wochen mühsam hat auflebenlassen, entsprechen doch nicht der Realität.Sie sind verstaubt und lenken ab von den Schwächen der CDU im Land.

Die zahlreichen Präsente (Uhr, Blumensamen), die aus der CDU-Zentrale ins Land verschickt werden, zeugen doch eher von Ratlosigkeit als von durchdachter Wahlkampfstrategie.

Nachdem in der Sommerpause die Umfragewerte der CDU auf 42% gesackt sind, geht bei ihnen die Sorge um, auch im dritten Anlauf das angestrebte Ziel, die SPD in NRW abzulösen, verpassen.

Und, wenn ihr mich fragt, die nordrhein-westfälische CDU hat allen Grund zur Sorge. Bis heute ist überhaupt nicht erkennbar, welchen politischen Kurs sie auf Landesebene verfolgt. Sie füllt ihre Rolle als stärkste Oppositionspartei im Parlament in keiner Weise aus.

Gerade die aktuelle Debatte um HartzIV sagt einiges aus über den miserablen Zustand der CDU in Düsseldorf und Berlin. Verantwortlich für weitreichende Verschärfungen der Hartz-Gesetze bei der Zumutbarkeit, dem Zuverdienst oder der Altersvorsorgeregelung ist die CDU.

Deshalb ist es unglaublich, welchen politischen Eiertanz ausgerechnet Jürgen Rüttgers nach ersten Protesten auf der politischen Bühne präsentierte. Eine ?Generalrevision? von Hartz forderte er kurzerhand und das, obwohl die CDU im Vermittlungsausschuss auf den umstrittenen Punkten der Hartz-Gesetze bestanden hat. Auch die private Zahnersatzpauschale war keine Erfindung der Grünen, sondern ist auf Druck von Angela Merkel beschlossen worden.

Unsere Position, liebe Feundinnen und Freunde, haben wir in einem Brief an die Kreisverbände deutlich gemacht. Wir stehen zur Durchführung der vereinbarten Reformen, sind aber offen für berechtigte Kritik an den Kompromissen mit der Union im Vermittlungsausschuss. Hier gibt es sozialen Korrekturbedarf auf den wir weiter drängen werden.

Sehen wir uns auch die FDP einmal an: keine Partei steht in so hohem Maße für Beliebigkeit wie die FDP. Sie hat keinerlei kommunalpolitische Verankerung in Nordrhein-Westfalen. Sie ist nach den tragischen Ereignissen um Jürgen Möllemann inhaltlich wie personell völlig ausgedörrt. Ihre Spitzenkandidaten sind in NRW weitgehend unbekannt und ihre Spendenaffäire immer noch nicht aufgeklärt.

Hier dürfen wir nicht zulassen, dass FDP-Funktionäre, so tun, als hätten sie nichts mit der Spendenaffäre der Landes ? FDP zu tun. Einige von ihnen saßen auch zu Zeiten Möllemanns in den Führungsgremien der Partei. Es ist unsere Aufgabe, die politische Auseinandersetzung um Korruption und Filz weiter zu führen.

Die SPD, liebe Freundinnen und Freunde, muss jetzt kämpfen, um sich aus ihrer Krise zu befreien. Ich glaube, mit Blick auf die Kommunalwahl und die Landtagswahl im Mai wird es höchste Zeit für die Sozialdemokraten, zu handeln. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Nicht wir, sondern die Sozialdemokraten haben derzeit das größere Problem.

Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, war es auch nur eine Frage der Zeit, bis über die Grünen als ?Besserverdienende? oder ?Rosinenpicker? zu lesen war. Ich kann denjenigen Sozialdemokraten, die meinen, sie müßten sich jetzt mit uns zu beschäftigen, nur raten: kümmert Euch um Eure Mitglieder und sucht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner CDU. Schließlich ist doch die CDU für vieles verantwortlich, wofür die SPD heute Prügel bezieht.

Gerade wir Grünen wissen allzu gut, wie es war, als es der grünen Partei alles andere als gut ging. Wir haben so manches Tief durchschritten. Knappe Mehrheiten zur Annahme des Koalitionsvertrages im Jahr 2000, massive Auseinandersetzungen um den Afghanistan-Krieg und zahlreiche Parteiaustritte haben auch uns beschäftigt.

Diese Krise haben wir allein gemeistert, aufmunternde Worte von Sozialdemokraten habe ich damals nicht gehört. Die Stabilisierung und Konsolidierung des Landesverbandes ist uns allen gemeinsam gelungen.

Heute haben wir wieder steigende Mitgliederzahlen zu verzeichnen, sind interessant gerade für junge Menschen und gehen geschlossen in die Wahlkämpfe.

Wir sind gut beraten auf unsere eigene Stärke zu setzen und für soviel Grün wie möglich zu werben. Unsere Grünen vor Ort werden völlig autonom entscheiden, ob sie ein rot-grünes Bündnis in ihrer Stadt für richtig erachten oder ein schwarz?grünes Bündnis eingehen. Es gibt keine zentral verordnete Farbenlehre für den 26. September ? die Devise lautet: Grün für alle Fälle.

Die Grünen in NRW sind seit fast 10 Jahren an der Landesregierung beteiligt. Wir sind eindeutig die treibende Kraft, die die Sozialdemokraten zu sozialen und ökologischen Reformen drängen. Spätestens mit dem ?Düsseldorfer Signal?  wurde deutlich: wenn es um die sozial ? ökologische Erneuerung Nordrhein Westfalens geht, braucht es soviel Grün wie möglich.

Nach der Kommunalwahl werden wir gemeinsam die Wahl auswerten und die strategische und programmatische Positionierung zur Landtagswahl vornehmen.

Wir werden uns nicht ausruhen auf derzeitigen guten Umfragewerten oder Wahlergebnissen, wir werden programmatische Diskussionen führen, uns der Mitgliederentwicklung widmen, das Thema Nachwuchsförderung vorantreiben und selbstverständlich auch überlegen, wie wir das Vertrauen derer gewinnen können, die sich zur Zeit nicht an einer Wahl beteiligen und Politik verdrossen sind.

Jetzt aber gehen wir erst einmal gemeinsam in den Endspurt der letzten drei Wochen. Ich wünsche uns allen viel Spass und Energie und vor allem einen kräftigen Zugewinn an Mandaten ? Zweistelligkeit ist unser Ziel.

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